Tirol könnte sich schon bald auf H2 reimen: Wo echte Pioniere und viel grüne Energie aufeinandertreffen, stehen die Chancen gut, in der Wasserstofftechnik weit über die Grenzen hinaus zur Vorzeigeregion zu werden.
Von Bernhard Ecker

Wahlkämpfe sind nicht nur Zeiten fokussierter Unintelligenz, wie ein ehemaliger Wiener Bürgermeister zu sagen pflegte. Sie haben auch das Zeug, unfokussierte Intelligenz sichtbar zu machen. Denn die eine oder andere Idee, die da mit viel Werbeaufwand in die Landschaft getrommelt wird, ist nicht blöd. Nur wegen der vielen Nebelgranaten, die Wahlauseinandersetzungen kennzeichnen, ist sie oft noch etwas unscharf.
Mit dem Vorschlag, Österreich solle Wasserstoffnation Nummer eins werden, überraschte der vermutliche Wahlgewinner Sebastian Kurz am Beginn des Wahlkampfs die Öffentlichkeit. Bis 2025 solle es ein flächendeckendes Tankstellen-Netz geben, so Kurz’ Vorstellung. Dazu stellte der Alt- und wohl auch künftige Kanzler 500 Millionen Euro Förderungen in Aussicht. Das überraschte Freund wie Feind: Denn bisher kommt nicht einmal das batteriebetriebene Elektroauto vom Fleck. Welchen Sinn hat es da, gleich zur nächsten Technologie zu springen?
Im Laufe eines langen Wahlkampfs mit vielen Experten-Wortmeldungen wurde dann auch einer größeren Öffentlichkeit bewusst, dass das Wasserstoffauto maximal eine langfristige Vision sein kann. Wegen des vergleichsweise schlechten Wirkungsgrads ist es dem Batterie-Auto derzeit in fast allen Belangen unterlegen. Sinnvoll ist die Technik, bei der in Brennstoffzellen Sauerstoff mit Wasserstoff reagiert und auf diese Weise Energie frei gesetzt wird, jedoch bei langen Strecken, bei industriellen Anwendungen, bei schweren Lasten und im Schiffsverkehr, und bei Nutzern, die schnell tanken und nicht stundenlang an der Zapfsäule stehen wollen.
Die sommerliche Diskussion war aber auch deshalb wichtig, weil sie das Bewusstsein dafür schärfte, wo die Wasserstoff-Musik in Zukunft sinnvollerweise spielt: dort, wo viel grüner Strom verfügbar ist, der für die Herstellung grünen Wasserstoffs notwendig ist, wenn der Kraftstoff für den Tank mit der Wasserkraft vor Ort produziert werden kann, hat man einfach die besseren Karten. Und natürlich dort, wo es Pioniere gibt, die schon seit langem an dem Thema dran sind.
Diese Kombination gibt es derzeit nur in Tirol. In keinem anderen Bundesland und wahrscheinlich in keiner anderen Region Europas gibt es eine solche Dichte an richtungsweisenden Pilotprojekten, die bereits in der Umsetzung sind. Die Fäden laufen dabei bei Ernst und Nikolaus Fleischhacker zusammen, Co-Gründer des Green Energy Center Europe mit Sitz in Innsbruck und Chefs der Firma FEN Sustain Systems mit Sitz in Pettnau. Vater Ernst Fleischhacker hat schon vor zehn Jahren für das Land Tirol das Strategie-Programm „Tirol 2050 energieautonom” entworfen und vor fünf Jahren implementiert. „Wir haben Modellcharakter weltweit“, ist er überzeugt.
Am interessantesten ist eine Aktivität der Lebensmitteldynastie Mölk. Am Areal der M-Preis-Großbäckerei in Völs wird derzeit mit einem Elektrolyseur eine 4-Megawatt-Anlage errichtet, die künftig bis zu 1,8 Tonnen grünen Wasserstoff pro Tag erzeugen soll. Dieser Wasserstoff soll zum einen grüner Brennstoff für die familieneigene Großbäckerei sein und zum anderen als grüner Treibstoff für den Verkehr verwertet werden. Die Lastwagenflotte des Marktführers im regionalen Lebensmittelhandel dürfte folglich in den nächsten Jahren auf H2 umgestellt werden. Die eigene Elektroanalyse soll künftig pro Tag den Bedarf von rund 30.000 Lkw- bzw. Buskilometern abdecken können. Gelingt das, wäre es der Parade-Anwendungsfall, der die regionalwirtschaftlichen Kreisläufe stärkt und zu größerer Unabhängigkeit führen kann.
Einer der Schlüsselspieler im österreichischen Ökosystem rund um Wasserstoff, Roland Punzengruber, ist begeistert von diesen Entwicklungen: „Tirol ist der absolute Vorreiter bei diesem Thema.“ Punzengruber ist als Geschäftsführer von Hyundai Österreich zwar daran interessiert, möglichst viele seiner Hyundai Nexos auf die Straße zu bringen. Derzeit sind es gerade einmal ein paar Dutzend. Das reicht allerdings schon für die Marktführerschaft. Doch für den Auto-Mann ist klar, dass der Anwendungsfall Individualverkehr erst später dran ist. Hyundai wird deshalb vorerst auf eine möglichst zügige Auslieferung seiner Wasserstoff-Lkws setzen. Bei einem eben gestarteten Pilotprojekt in der Schweiz ist das Ziel, bis 2025 eine Flotte von 1.600 Brennstoffzellen-Elektro-Lastwägen zu etablieren.
Nicht weniger spektakulär ist der Umstand, dass auch die traditionsreiche Zillertalbahn auf H2 umstellt. Der Testbetrieb startet 2020, bis 2023 soll sie die erste Schmalspurbahn der Welt sein, die auch im Regelbetrieb mit Wasserstoff fährt. Ein rollender Vorbote der geplanten Wasserstoff-Region Zillertal. Die Länge von nur 32 Kilometern macht zwar Experten noch skeptisch, was die betriebswirtschaftlichen Ergebnisse betrifft. Denn üblicherweise werde im Bahnbereich mit mindestens 80 Kilometern kalkuliert, sagt Florian Maringer, Geschäftsführer des Dachverbands Erneuerbare Energien Österreich. Doch auch so ist die Wasserstoffbahn aus Tirol für Maringer in jedem Fall ein „nettes“ Pilotprojekt.
Während der grüne Wasserstoff für die Schmalspurbahn vom Verbund kommen soll, plant auch der Tiroler Energieversorger Tiwag ein eigenes Projekt: Power2X Kufstein. Am Kufsteiner Wald soll eine Anlage zur Wasserstoffproduktion und Energiespeicherung entstehen. Die Sektorenkoppelung von Strom, Wärme, Kälte und Mobilität ist in dieser Form laut den Projektbetreibern österreichweit einzigartig.
Der Wunsch nach Unabhängigkeit spielt in der Geschichte Tirols schon seit jeher eine große Rolle, vielleicht fällt auch deshalb das Thema hier auf so fruchtbaren Boden. Bis 2050 will das Land energieautonom sein. Schon jetzt überschlagen sich die Lokal- und Landespolitiker vor Euphorie, was die Zukunftstechnik Wasserstoff betrifft. Auch die ersten Pistenraupen mit Brennstoffzellen sind bereits in Planung. Sowohl Industrie, Tourismus und Handel sehen vielversprechende Anwendungsfälle.
Dass aber zigtausende Tiroler schon bald mit einem Wasserstoffauto durch die Täler und über die Autobahnen flitzen, ist in den nächsten zehn Jahren eher nicht zu erwarten. Der Hyundai Nexos kostet ohne Extras 78.000 Euro, was die Hürden selbst für Experimentierfreudige erhöht. Fleischhacker und Punzengruber wollen deshalb mit vereinten Kräften über eine so genannte Friendly User–Strategie die wichtigsten Player des heimischen Wasserstoff-Ökosystems langsam auch zu Nutzern machen.
Dazu ist eine Basisinfrastruktur unerlässlich. Zwar ist die Innsbrucker OMV-Wassertankstelle, eine von fünf in Österreich, die meistfrequentierte des Landes, doch generell ist die stets auf Förderungen basierende Zukunft des Netzes noch extrem unsicher. OMV-Sprecher Andreas Rinofner hat angesichts der an wenigen Händen abzählbaren Wasserstoffautos auf den Straßen vor kurzem im „trend“ jedenfalls die Hoffnungen auf einen zügigen Ausbau gedämpft: „Eine Tankstelle für sieben Fahrzeuge, das halte ich für eine recht gute Abdeckung.“
Pionier Fleischhacker kann das nur recht sein, er hält es für besser, das bestehende Netz allenfalls zu arrondieren und regionale Pilotprojekte wie jenes in Tirol zu unterstützen. Denn dann sei die Chance intakt, Maßstäbe weit über die Landesgrenzen hinaus zu setzen: „Wir können die Top-Destination in Sachen Wasserstoff weltweit werden. Denn den Wasserstoff kann man nicht bloß tirolerisch denken.“