#Neubeginn
Kolumne von Anna-Maria Wallner (Chefin vom Dienst bei Presse am Sonntag und Ressortleiterin Meinung)
Nach dem Ausnahmezustand kommt der Wiederaufbau. Zumindest nennt das die Regierung so. Geschäftstüchtige Zukunftsforscher und Soziologen sprechen lieber vom Neustart. Nur sind sie sich nicht sicher, ob die neue Zeit ganz anders oder ganz genauso wird wie bisher.
Der französische Starautor Michel Houellebecq hat in der FAZ etwas sehr Schönes geschrieben. Nämlich, dass „die Epidemie die Leistung vollbringt, beängstigend und langweilig zugleich zu sein.“ Wie Recht er hat. Das Covid-19-Virus ist tatsächlich auf seltsame Weise banal, entfernt verwandt mit dem gemeinen Grippevirus, relativ leicht übertragbar und unberechenbar. Für manche Menschen kann es tödlich enden, für andere so leicht sein, dass sie es kaum bemerken. Genau diese Unberechenbarkeit macht es wiederum so beängstigend. Wobei für Angst und Unruhe noch mehr die Art sorgt, wie Regierungen und Menschen damit umgehen.
Nicht wenige Staatsmänner und -frauen haben sich früh dazu entschieden, dem Virus auch mit einer seltsamen Kriegsrhetorik zu begegnen. Frankreichs Präsident Emmanuelle Macron erklärte pathetisch: „Wir sind im Krieg.“ Sein US-amerikanischer Kollege Donald Trump sprach von der Kriegsfront und von „Opfern, die gebracht werden müssen“. Auch in Österreich waren Worte wie „Ausgangssperre“ und sogar „Lazarett“ zu hören. Immerhin das „Feldbett“ wurde ausgespart. Mit dieser Rhetorik geht es nun auch nach dem sogenannten Shutdown weiter, wenn die Regierung die Maßnahmen zur Ankurbelung von Wirtschaft und Lebensfreude konsequent als „Wiederaufbau“ bezeichnet. Dabei ist eigentlich nichts zerstört worden, nur die sozialen Kontakte waren reduziert, das öffentliche Leben und damit alle Produktionsvorgänge auf ein Minimum gesetzt. Was nicht heißen soll, dass die Folgewirkungen für einzelne Branchen und Betroffene nicht furchtbar und existenzbedrohend sind. Aber es sind keine Häuser und Fabriken, keine Straßen und Brücken aufzubauen, sondern nur ein Hochfahren der auf Pause gestellten Betriebe und Sozialkontakte zu bewältigen.
Dagegen klingt die aktuell viel zu hörende Rede vom Neustart so harmlos und glatt wie der Auftaktvormittag eines mehrtägigen Coachingseminars in einem Wellnesshotel. Tatsächlich benutzen geschäftstüchtige Zukunftsforscher und Soziologen oder die etwas besonneneren Philosophen eher diesen oder ähnliche Begriffe. Und sie alle prophezeien uns, dass dieser Neubeginn nach der Corona-Pause die Gesellschaft mit Sicherheit verändern wird. Diese neue Zeit, die schon begonnen hat. Oder dass „nichts mehr so sein wird wie zuvor“. Das schrieb schon Ende März ein Soziologe im Feuilleton der Neuen Zürcher Zeitung.
Zudem hat dieser Tage überhaupt so gut wie jede Interessensvertretung und jeder Berater Vor- und Ratschläge für den Neustart nach der Krise und liefert dazu, ob gefragt oder ungefragt, gleich eine Agenda mit vielen kleinen Unterpunkten mit. Dabei sieht es erstens so aus, als ob es noch eine Weile dauern wird, bis dieses Danach beginnt. Weil, das lernen wir ebenfalls gerade, Neustart heißt nicht, dass er auch sofort beginnt, weder gleich noch jetzt, eher später, wahrscheinlich irgendwann. Denn nur weil Geschäfte, Lokale und Hotels im Mai in drei Etappen wieder ihre Türen aufgesperrt und die Tische in die Schanigärten gestellt haben, sind die Krise und ihre Folgen nicht ausgestanden. Und dem folgend fragt man sich zweitens, wieso soll der Neustart erst nach der Krise beginnen und braucht es wirklich überall, in jedem Bereich unseres Lebens einen Neustart?
Schon jetzt geht das Leben Tag für Tag weiter und der Großteil der Bevölkerung, die Unternehmenschefs und Betriebsräte, die Lehrerinnen und Kindergärtnerinnen, die Familienväter und Start-up-Gründerinnen, mögen zwar in ihrem Bereich erkennen, was in Zukunft besser oder vielleicht einfach anders laufen könnte. Aber sie sind in erster Linie damit beschäftigt, die für uns alle so einzigartige und neue Lebenslage zu meistern. Zwischen Kurzarbeitsanträgen und überforderten Home-Office-Gestrandeten die vielen neuen Auflagen und Maßnahmen gegen eine Ausbreitung des Coronavirus umzusetzen, kostet viel Zeit und Kraft. Zwischendurch zu überlegen, was man jetzt ganz anders machen kann, ist gut, aber schlicht nicht für alle schaffbar.
Der Neustart kommt und wir können froh sein, dass das öffentliche und private Leben nun wieder in kleineren und größeren Schritten aufgenommen wird. Eine Zeit für Ratschläge und Ordnungsrufe ist jetzt eher nicht.

Anna-Maria Wallner ist seit Mitte März im Home-Office und hat manche Vorteile daran gefunden. Aber die Rückkehr ins Großraumbüro mit Redaktionskonferenzen in großer Runde, bei denen diskutiert werden kann und die Gespräche mit Kollegen am Gang oder in der Redaktionsküche, sind unschlagbar. Dagegen kommt kein Home-Office an.