
netzwerk tirol traf den Grenzgänger Ötzi. Den Eismann, nicht den DJ. Aufgrund seiner herausragenden Erfahrung mit Mobilität durch die Zeit und über die Alpen wurde ein Expertengespräch erwartet. Es kam aber anders.
Von Maximilian Brustbauer
netzwerk tirol: Herr Ötzi, wie geht es Ihrer linken Schulter?
Ötzi: Was soll ich sagen, ich habe gelernt, damit zu leben. Hahaha. In meinem Alter macht man ja auch nicht mehr so viel. Die meiste Zeit des Tages liege ich rum und denke nach.
Worüber denken Sie denn da nach?
Wie Sie vielleicht wissen, bin ich eine lange Zeit in den Bergen gewesen. Da in der Nähe der Ötztaler Alpen.
Ja, davon habe ich gehört.
Ich bin sicher, dass Sie schon davon gehört haben. Ich war ja schon vor 5.500 Jahren eine herausragende Gesellschaftsperson. Aber heute: Legende. Die ganze Welt kennt mich als Ötzi. Mittlerweile lebe ich in Bozen in der Stadt. Schöne Gegend, aber Stadt ist mir lieber. Das Problem jetzt ist: Ein netter junger Mann will mir aber jetzt ein neues Haus bauen, auf einem Berg.
Das klingt nicht sonderlich begeistert.
Wenn Sie 5.500 Jahre in einer Grube auf einem Berg gelegen hätten, der von einem Gletscher überzogen ist, dann kann ich mir nicht vorstellen, dass Sie die Vorstellung, wieder auf einem Berg zu liegen, erwärmen würde. Außerdem kann ich hier in der Stadt jederzeit ganz unkompliziert besucht werden.
Aber das Museum platzt aus allen Nähten, wie man so schön sagt.
Und wenn Ihr Haus voll ist, dann bauen Sie sich auch ein neues? Vielleicht sollte einmal überlegt werden, aufzuräumen oder einen Zubau zu errichten?
Es soll ja ein ganzes Museumsquartier entstehen und eine Seilbahn und ein Einkaufszentrum.
Und das wiegt jetzt wie als Argument zu dem, was ich sage? Zu meiner Zeit waren wir ja viel weniger Menschen auf der Welt und es gab viel mehr freie Natur. Trotzdem und gerade deshalb mussten wir uns an die Natur und die Gegebenheiten anpassen, weil wir ja von ihr gelebt haben. Heute leben viel mehr Menschen auf der Erde und die ist nicht größer geworden. Ich sehe da keinen Grund, weshalb dadurch ein veränderter Umgang mit der Natur gerechtfertigt wäre. Außerdem kommen ja heute schon 300.000 Menschen pro Jahr zu mir.
Richtig und die müssten doch mit einem besseren Verkehrskonzept besser durch Bozen geleitet werden.
Der Neubau eines Einkaufszentrums und eines Museumsquartiers auf einem Berg, der nur durch eine Seilbahn erreicht werden kann, wird zu einer Steigerung der Besucherzahlen führen. Andernfalls müsste man das Vorhaben ja als wirtschaftlich dumm bezeichnen, wenn es nicht auf Wachstum angelegt wäre. Ich bin ja, als es mich erwischt hat, bis heute weiß ich nicht, wer das war, der mir den Schädel eingeschlagen hat, egal. Also, ich bin ja bewusst über die Berge bei den Ötztaler Alpen. Es war gerade Glockenbecherfest, das war bei uns früher das wichtigste Fest des Jahres. Da war der Reschenpass immer verstopft, weil da alle in den Norden sind. Durch das Ende der Eiszeit und den Beginn des Holozäns war es ja im Sommer ganz unerträglich für unsereins in der Poebene. Deshalb bedeutete Glockenbecherfest Tirolurlaub und jedes Jahr kamen mehr und mehr Leute. Die Ausweichroute war also voll und auf dem Salstoighos über den Brenner, das ist übrigens indogermanisch für Salzsteig, das wissen Sie ja, der war immer schon Stauzone.
Darüber wollte ich mit Ihnen reden. Wie war denn die Verkehrssituation damals. Heute sperrt die Polizei die Abbiegespuren auf der Autobahn für Touristen und den Schwerverkehr, weil die Situation in den Orten entlang der Autobahn unerträglich geworden ist.
Ich kann das nur zu gut verstehen. Deshalb bin ich ja quasi querbergein gegangen. Hahaha, verstehen Sie, bergein, hahaha.
Ja, ich hab es verstanden, wegen feldein.
Genau, hahaha. Also ich verstehe das mit dem Verkehr. Ich bin einmal über den Salstoighos und da ist mir tatsächlich jede halbe Stunde jemand entgegengekommen. Es war die Hölle.
Genau.
Ich weiß aber, dass es heute noch viel ärger ist. Warum wird diese Route so stark befahren? Der Grund dafür ist in diesem Fall, meiner Meinung nach, aber nicht das Herdenverhalten von uns Menschen. Denn es ist weder einfach noch bequem, das 334. Auto im Stau zu sein. Vielmehr sind es finanzielle Anreize, die es schlicht und einfach billig machen, diesen Weg zu befahren. So billig, dass es egal ist, wenn einmal ein Stau ist, wenn schlechte Presse über die Frächter kommt oder wenn sich die Landespolitik ein bisschen menschenkümmernd aufspielt.
Was meinen Sie mit menschenkümmernd?
Schauen Sie. Vom Gesetz her ist festgelegt, dass die Erreichbarkeit der Ortschaften gewährleistet sein muss, zwecks Versorgung und Erreichbarkeit auch für Einsatzfahrzeuge. Diese Aufgabe muss vom Staat wahrgenommen werden. Wie wir wissen, kam er dem aber lange nicht nach. Wenn sich jetzt die Politik hinstellt, weil das Problem von den Bürgerinnen und Bürgern schlicht nicht mehr toleriert wird, und behauptet, dass sie mit den eine Lösung schaffen, dann geht sie davon aus, dass die Bevölkerung schon sehr dumm ist, wenn sie das schluckt.

Das ist jetzt das zweite Mal, dass Sie im Interview etwas oder jemanden als dumm bezeichnen.
Erstens bin ich schon seit langer Zeit tot, was soll mir passieren. Zweitens bin ich Tiroler. Wir buckeln nicht.
Irgendwie klingt das nicht witzig, wie Sie das gerade sagen. Würden Sie sich als einen aggressiven Menschen bezeichnen?
Ich weiß, dass Sie schon einmal ein Interview mit Kaiser Maximilian I. geführt haben. Da waren Sie auch etwas patzig? Wissen Sie, das spricht sich rum in der Community?
Weshalb patzig und in welcher Community?
Es gibt die normalen Toten und dann gibt es uns.
Die Besseren?
Schon wieder patzig. Natürlich die Besseren. Wir haben ja auch etwas zu sagen, sonst würden Sie uns ja nicht interviewen. Und deshalb fordere ich da schon etwas mehr Respekt für mich ein.
Wie sind Sie nochmals umgekommen?
Ich bin hinterrücks von einem Pfeil getroffen und dann erschlagen worden. Warum?
Nur so. Aber dann stelle ich gerne meine weiteren Fragen. Wie sähe denn ihr Vorschlag für eine Problemlösung aus?
Tirol hat die billigste Maut für LKW im Alpenraum. Ich muss kein Genie sein, um auf die Idee zu kommen, hier den Hebel anzusetzen.
Wie sollten Mobilitätskonzepte für die Zukunft aussehen?
Wir müssen nicht scheinheilig tun und sagen, dass der Verkehr eingeschränkt gehört.Das muss einmal in der Diskussion auch gesagt werden. Die Forderung wäre unglaubwürdig, denn unsere Welt beruht auf Mobilität. Wo Veränderung nötig ist, ist bei der Antriebstechnik und bei der Steuerung.
Können Sie das genauer ausführen?
Natürlich kann ich das. Was soll die Frage?
Ich habe ja nur gefragt.
Unterbrechen Sie mich nicht dauernd.
Sie müssen ja nicht gleich laut werden.
In der Nacht vor meiner Ermordung hat mich so ein Glockenbecherfesttourist auch ständig unterbrochen. Da bin ich laut geworden. Bei Ihnen halte ich mich eh zurück.
Aha, vielleicht war er das ja.
War was?
Egal. Ihre Vorschläge für die Antriebstechnik und die Steuerung bitte.
Wenn Sie auf Google maps heute eine Route planen lassen, dann schlägt ihnen die App eine andere, längere Route vor, wenn es sich auf der kürzesten Strecke staut, durch den Sie mehr Zeit verlieren würden, als wenn Sie die längere Route fahren würden. Keines der Fahrzeuge ist heute schon ein sogenanntes intelligentes Fahrzeug. Aber alle haben ein Smartphone mit und dadurch kann Google maps diese Vorschläge für die Route machen. Wenn man sich diese Daten, die es ja offensichtlich gibt, zunutze machen würde, dann könnte durch ein bisschen Drehen an den Rädern des Verkehrs eine positive Veränderung erreicht werden.
Zur Antriebstechnik ist zu sagen, dass es durch die momentane Technik mich nicht wieder geben wird.
“Ich habe keine Lust, ein zweites Mal zu sterben.”
Ich darf nachfragen, wie Sie das meinen?
Ja, dürfen Sie. Zu meiner Zeit gab es mehr Gletscher. Jetzt gingen die natürlich durch das Holozän eh zurück. In den letzten hundert Jahren aber unverhältnismäßig schnell. Wenn Sie mich also heute erschlagen würden, dann könnte ich nicht gefrieren. Wir haben also ein Problem.
Naja, es sind sehr viele Menschen nicht konserviert worden.
Die sind aber nicht so wichtig gewesen wie ich. Wir müssen heute Antriebstechniken forcieren, die nicht zur Erderwärmung führen. Jetzt sagen Sie sicher gleich, dass das ja nicht jeder und jede einzelne Person machen kann. Und ich sage, doch, weil jeder einzelne Mensch dazu beitragen kann, indem auf kurze Fahrten mit dem Auto verzichtet wird. Nicht jede Strecke muss mit dem Auto zurückgelegt werden und vor allem, schauen Sie morgens, wenn Sie im Stau stehen, in die Autos rund um Sie, da sitzt immer nur einer. Ein Irrsinn. Und das Verrückteste sind diese SUVs. Eine Geländelimousine für die Stadt, eine Art Hausfrauenpanzer. Ich komme ja aus der Steinzeit, aber nicht einmal wir hatten das Bedürfnis, so stark mit unserer Potenz anzugeben.
Das sind aber schon radikale Ansätze.
Was heißt da radikal? Ich, Ötzi, wurde erschlagen. Da kann man sagen, dass der Täter radikal war. Aber dass uns das Klima bald alle umbringt und wir den Planeten zerstören, in der Konstellation kann man sagen, dass die Welt ich bin und die Menschheit der radikale Täter, der mich erschlagen hat.
Jetzt vergleichen Sie sich mit der Welt?
Natürlich! Wenn wir die Erderwärmung nicht stoppen, dann wird niemand mehr mein Museum warten, ob das alte oder das neue, und dann werde ich verwesen. Ich habe keine Lust, ein zweites Mal zu sterben.