Wer im Tourismus Qualität will, schaut längst weniger auf die Herkunft der Beschäftigten als auf das, was sie können, die Arbeitgeberinnen ebenso wie die Gäste. Daher ist der politische Schlachtruf „Wiener Köchinnen nach Tirol!“ in erster Linie populistisch.
Von Bernhard Ecker

In Wien gibt es im Jahresschnitt 1.000 arbeitslose Köchinnen, in Tirol werden 300 Köchinnen gesucht. Also warum schicken wir die Küchenprofis aus dem Osten zu Spitzenzeiten nicht in den Westen, und der Engpass in den heimischen Hotels und Wirtshäusern ist gelöst? Der Vorschlag klingt so logisch, dass vor lauter Begeisterung über soviel Hausverstand sofort geklatscht werden möchte.
Die mächtigste Tirolerin in Österreichs Wirtschaft, die für den Standort und für Digitalisierung zuständige Ministerin Margarete Schramböck, hat vor Kurzem gefordert., die Regeln der Zumutbarkeitsbestimmungen für Arbeitslose zu verschärfen, damit endlich die gewünschte Wanderung der Fachkräfte Richtung Westen einsetzen kann, die doch bislang nicht und nicht in die Gänge kommen will.
Insbesondere bei jungen Menschen ohne Betreuungspflichten halte sie, Schramböck, es für unverständlich, wenn diese nicht dem überregionalen Prinzip von Angebot und Nachfrage gehorchen. Wer nicht mobilitätswillig ist, müsse folglich verstärkt mit Sanktionen rechnen, etwa mit der Herabsetzung oder Streichung des Arbeitslosengeldes. Industriellenvereinigungs-Präsident Georg Kapsch nahm den Ball der Ministerin dankbar auf. Die Industriebetriebe kämpfen mit ähnlichen Problemen wie die Touristikerinnen.
In Tirol können mit derlei Aussagen ebenfalls zunächst einmal offene Türen eingerannt werden. Hier ist tief in der DNA die Grundhaltung verankert, dass Arbeit eben gemacht werden muss, wenn sie anfällt. Egal mit welchem Arbeitsweg sie verbunden ist und was die Gewerkschaft dazu sagt. Vielleicht ist im konkreten Fall auch ein Schuss historisch gepflegter Wien-Abneigung dabei, die seit dem im Friedensvertrag von Schönbrunn 1809 manifestierten Wortbruch des Kaisers gegenüber den Tirolerinnen bei einigen ihrer Nachkommen ja irgendwie nachvollzogen werden kann. So weit, so zielführend.
Doch wenn sich tiefer mit der Materie beschäftigt wird, kommen erhebliche Zweifel auf, ob Schramböcks Vorschlag nicht sogar primär von einem Anti-Hauptstadt-Reflex getragen ist, den die Türkisen seit dem ersten Antritt von Sebastian Kurz gerne bedienen.
Denn zuletzt haben sich die Zahlen durchaus im Sinne der Wirtschaft und der Arbeitsmarktverantwortlichen entwickelt. Laut Daten des Arbeitsmarktservice (AMS) ist die Zahl der arbeitslosen Köchinnen in der Bundeshauptstadt in den letzten zwei Jahren von 1.100 auf 850 gesunken, jene der Kellnerinnen von 2.350 auf 1.920. Auf der anderen Seite ist aber auch die Zahl der sofort verfügbaren offenen Stellen für Gaststättenköchinnen in Tirol trotz Höchstkonjunktur zurückgegangen. Funktioniert die überregionale Vermittlung also ohnehin zusehends oder wurde das seit Jahren bekannte Problem einer anderen Lösung zugeführt?
Zum Teil, heißt es beim AMS, wechseln arbeitslose Köchinnen ohne familiäre Verankerung durchaus in die Tourismusgegenden Salzburgs, Tirols und Vorarlbergs. Die Arbeitsvermittlerinnen versuchen mit Jobbörsen und ähnlichen Instrumenten seit Längerem, saisonale und regionale Disparitäten auszugleichen und so Angebot und Nachfrage besser zu matchen. Zum größeren Teil machen Arbeitslose, die ihr soziales Umfeld nicht so mir nichts, dir nichts verlassen wollen, aber das, was nahe liegend ist: Sie wandern nicht in andere Gegenden, sondern in andere Berufe ab. Und lassen sich umschulen. Beides führte zuletzt übrigens dazu, dass die Zahl der offenen Stellen bei Köchinnen und Kellnerinnen in Wien gestiegen ist.
Dass eine Verschärfung der Zumutbarkeitsbestimmungen große Mobilitätsströme Richtung Westen auslösen würde, wird von den Expertinnen, zumindest wenn diese Expertinnen nicht von der Regierung abhängig sind, deshalb in Frage gestellt.
Aber auch über die eigene Nasenspitze hinausdenkende Unternehmerinnen glauben nicht, dass die Rechnung so einfach aufgeht, wie von der Wirtschaftsministerin, der Industriellenvereinigung und der Wirtschaftskammer gedacht. Sogar die Österreichische Hoteliervereinigung (ÖHV), prinzipiell seit Langem Befürworterin strengerer Zumutbarkeitsbestimmungen, wehrt sich gegen die pauschale Diskreditierung der Mitarbeiterinnen im Tourismus als arbeitsunwillig, wenn sie nicht sofort eine Stelle antreten wollen, die einige hundert Kilometer vom gewohnten Umfeld entfernt ist.
Stattdessen gilt es, das Gesamtpaket appetitlicher zu machen, um Mobilität zu attraktivieren: Eine Kinderbetreuungsoffensive und eine zeitgemäße Ausbildungsoffensive sind etwa wichtige Voraussetzungen, um die auch für Köchinnen und Kellnerinnen wichtige Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu gewährleisten. Das Bedürfnis nach Work-Life-Balance ist auch bei den Beschäftigten in Dienstleistungsberufen ein Faktum.
Was jedoch kaum jemand anspricht, obwohl es für jede Arbeitgeberin und jeden Gast evident ist: Die Struktur der Beschäftigten hat sich im Tourismus im letzten Jahrzehnt, insbesondere nach der Öffnung der Arbeitsmärkte Richtung Osten, fundamental gewandelt. Ein paar Tropfen aus dem österreichischen Osten können den heißen Stein im Westen nicht einmal mehr ansatzweise kühlen.
Die Zahlen sprechen für sich: In Tirols Tourismusbetrieben waren 2019 rund 40.000 Menschen beschäftigt. Nur 17.000 von ihnen sind Österreicherinnen. 5.400 kommen aus Ungarn, 3.720 aus Deutschland, 2.450 aus der Slowakei. Dass die Zahl der offenen Stellen bei Köchinnen und Kellnerinnen in Tirol sogar gesenkt werden konnte, lag an einem Sonderkontingent aus Kroatien. Dort gibt es im Winter bekanntlich wenig Jobs für die im Sommer heillos ausgebuchten Beschäftigten im Tourismus. Ende Juni 2020 laufen die Zugangsbeschränkungen für kroatische Arbeitnehmerinnen ohnehin aus, die beim EU-Beitritt Kroatiens vereinbart worden waren. Dann wird diese Quelle noch stärker sprudeln. Und das ist auch gut so.
Wer im August das Europäische Forum Alpbach besucht oder im Februar im Zillertal Schifahren geht, sieht und hört, wie international die Beschäftigtenbasis auch alteingesessener Betriebe inzwischen ist. Statt aber offensiv touristische Strategien à la „Wir bieten die beste touristische Dienstleistung mit den besten Mitarbeiterinnen Mitteleuropas“ zu entwerfen, wird die freundliche, gut organisierte und meist perfekt Deutsch sprechende stille Heerschar aus den Nachbarländern im Diskurs eher als zu tolerierendes Übergangsphänomen abgehandelt. Nur wer sich mit heimischen Spitzengastronominnen intensiver unterhält, bekommt immer öfter den Satz zu hören: „Mir ist eine motivierte Slowakin lieber als eine Wienerin, die nicht will.“
Es mag dabei auch um Geld gehen und tatsächlich ist darauf zu achten, dass die Konditionen in diesem internationalen Fachkräftewettbewerb nicht nach unten lizitiert werden. Doch das ist höchstens ein Faktor von mehreren. Nicht von ungefähr war die ÖHV eine der Hauptbetreiberinnen im letztlich erfolgreichen Ansinnen, Köchinnen und, in manchen Regionen, Kellnerinnen auf die Mangelberufsliste zu setzen und auf diese Weise qualifizierte Arbeitskräfte aus Drittstaaten anzulocken. Die Not in den Küchen war und ist tatsächlich groß, und die bisherigen Erfahrungen mit den Köchinnen aus Wien waren nur bedingt positiv.
Insbesondere wer Qualität will, orientiert sich immer weniger daran, ob jemand aus Kosice oder aus Wien-Meidling kommt. Entscheidend ist, ob sie oder er ins Profil des eigenen Hauses passt. Auch das ist ein Aspekt des Prinzips von Angebot und Nachfrage in einer globalisierten Welt. Die gewünschte Ost-West-Mobilität sollte folglich noch stärker grenzüberschreitend gedacht werden.