
Liebe Leserinnen, liebe Leser!
„Sozialer Fortschritt kann am Stellenwert des weiblichen Geschlechts gemessen werden.“ Viel hat sich bewegt, seit Karl Marx das vor 150 Jahren gesagt hat: Frauen brauchen heute nicht mehr die Erlaubnis ihres Mannes, um einer Erwerbsarbeit nachzugehen. Sie haben das Wahlrecht, können politische Ämter übernehmen. Sie können heute auch ohne Mann als eigenständige Person am gesellschaftlichen Leben teilhaben und werden dafür nur noch selten schief angesehen. Ein leichterer Zugang zu Bildung und zu anspruchsvollen Berufen, Methoden der Empfängnisverhütung, ein faireres Familienrecht, Frauenförderpläne und dergleichen mehr haben die Chancen der Frauen für ein selbstbestimmtes Leben deutlich verbessert und gleichzeitig deren Selbstbewusstsein gefördert. Und diese Energie wird auch an die nächste Generation weitergegeben. Die Fortschritts-Treppchen bis zur Augenhöhe sind schon entworfen, vereinzelt gibt es sogar bereits Prototypen.
Aber noch braucht es Zeit, bis es heißt: „Schau mir in die Augen, Partner!“ Schließlich war diese Entwicklung das Ergebnis langer und mühsamer Auseinandersetzungen. Anlass für Euphorie gibt es aber (noch?) nicht. Dazu ist die gesellschaftliche Verteilung von Lasten und Erfolgen zwischen Männern und Frauen nach wie vor zu unausgewogen. Blicken wir etwa auf die Verteilung der unbezahlten Hausarbeit, Kindererziehung, Pflegeleistungen. Oder auf die Einkommens- und Vermögensverteilung und die wirtschaftlichen Perspektiven im Alter: Männer besitzen durchschnittlich doppelt so viel Vermögen wie Frauen, ihre Einkommen liegen etwa 25 Prozent, ihre Pensionen circa 40 Prozent höher.
Noch zahlreiche weitere Hürden liegen auf dem Weg bis zur selbstverständlichen Gleichberechtigung: die gläsernen Decken auf den Karriereleitern, tradierte Frauenbilder, mangelnde Unterstützung bei Kinder- und Altenbetreuung, patriarchale Strukturen in Unternehmen, Verbänden und Institutionen, die Unfähigkeit vieler Männer, Meinungsunterschiede gewaltfrei auszutragen und so weiter.
Es gibt also weiterhin genug Raum für sozialen Fortschritt. Als begeisterter Opa dreier Enkeltöchter wünsche ich ihnen, dass sie in eine Gesellschaft hineinwachsen, in der sie aufgrund ihrer Werte, ihrer Talente und ihrer Leistungen ihre Chancen in vollem Umfang wahrnehmen können. Und als Wirtschaftswissenschaftler hoffe ich, dass diese Gesellschaft zugleich Bedingungen sichert, die es ermöglichen, die vielen schlummernden Potenziale von Frauen tatsächlich zur Entfaltung kommen zu lassen. Eine utopische Perspektive?
Herzliche Grüße
Stephan Laske
Herausgeber