Die Corona-Krise wird die Wirtschaftswelt in Überlebende und in solche aufspalten, die es nicht schaffen. Hauptkriterium ist nicht Tüchtigkeit, sondern Zufall.
Von Bernhard Ecker

Am Beginn dieses Jahres standen die Sachbuchdebüts einiger besonders interessanter junger österreichischer Autoren an. Lukas Sustalas Ende Jänner erschienenes „Zu spät zur Party“ über den Generationenkonflikt war von Start weg ein Renner und wurde medial breit besprochen. Glück gehabt.
Denn für Benedikt Narodoslawskys Werk über die Friday-for-Future-Bewegung und Klemens Himpeles amüsanten Erstling „Statistisch gesehen“, die erst im März präsentiert wurden, gab es praktisch kein Durchkommen mehr: Corona hatte sämtliche Aufmerksamkeit okkupiert. Pech gehabt.
Im alten Rom gab es die Göttin des Glücks: Fortuna. Anders als in manchen außereuropäischen Kulturen, etwa Indien, gab es aber keine korrespondierende Gottheit des Missgeschicks oder Pechs. Das Hinfallen, Scheitern oder gar Versagen wurde dann auch lange nach dem Zerfall des Römischen Reichs dort, wo sich das Christentum durchsetzte, immer stärker mit persönlicher Schuld als mit höherer Gewalt verknüpft.
Die Corona-Krise zwingt uns in dieser Hinsicht zu einem Perspektivenwechsel. Wenn es einen Contest zur Wahl der Göttin des Pechs gäbe, Corona wäre die chancenreichste Kandidatin.
Natürlich darf es nicht passieren, dass man schon zwei Wochen nach Beginn des Shutdowns einknickt, weil die Eigenkapitaldecke zu dünn war. Stresstests, wie man solche Schocks bewältigen kann, werden in Zukunft auch für mittlere und kleinere Betriebe Pflicht sein müssen, ähnlich wie die großen Banken-Stresstests nach der Finanzkrise 2008. Doch Corona als darwinistischen Durchputzer zu feiern, wie es sogar führende Notenbanker des Landes gemacht haben, ist zynisch und verkennt die Tatsachen. Die Krise führt nicht zum survival of the fittest, sondern eher zum survival of the luckiest. Und womöglich sogar zum death of the fittest.
Denn wenn auf die wenigen Gewinner der letzten Wochen geblickt wird, so sind ihnen diese Gewinne, bei allem Geschick und bei aller Tüchtigkeit, buchstäblich in den Schoß gefallen: Aktienprofis, die auf fallende Kurse gesetzt haben, Entwickler von Medikamenten und Impfstoffen, Hersteller von Hygieneprodukten und Schutzmasken, Bereitsteller von IT-Infrastruktur für Home Offices. Für die meisten waren es Profite quasi aus dem heiteren, wenn auch wolkenverhangenen Himmel.
Das gilt mit negativem Vorzeichen genauso für die vielen Einzelkämpfer und Firmen, die jetzt gegen den Abstieg kämpfen. Für einen Großteil der Wirtschaftstreibenden hat sich über Nacht wegen eines Virus die Welt verändert. Plötzlich darf das eigene Lokal oder die eigene Bühne nicht mehr betreten werden und es ist ungewiss, ob das binnen Jahresfrist noch einmal möglich sein wird. Das Geschäftsmodell ist futsch und das nicht aus eigenem Unvermögen oder mangelndem unternehmerischem Instinkt.
Das Wirtschaftsmagazin „trend“ hat seit Beginn der Corona-Krise CEOs von großen und kleinen Unternehmen unterschiedlichster Branchen eng begleitet. War es am Anfang der schiere Drang, sich inmitten des Chaos Überblick zu schaffen, Liquidität zu sichern und die Mitarbeiter zu halten, klärt sich 50 Tage nach Beginn des Großen Herunterfahrens am 16. März allmählich der Blick. Und das Bild, das sich nach mehreren Wochen eingefrorener Wirtschaftsaktivität zeigt, ist ein Bild eklatanter Ungerechtigkeit.
Während die Bauwirtschaft dank früh getroffener Sozialpartnervereinbarungen, in denen Hygiene- und Schutzbestimmungen auf den Baustellen definiert wurden, schon fast wieder auf Vorkrisenniveau fährt und auf kräftige Impulse aus staatlichen Konjunkturprogrammen hoffen kann, weiß der Tourismus noch immer nicht, was auf ihn zukommt. Und ein viel gefeiertes Vorzeigeunternehmen wie Do & Co, dem zum Jahreswechsel noch ein Rekordjahr vorausgesagt worden war, ist zum radikalen Schrumpfen gezwungen, wenn es überhaupt überleben will.
Den Airline- und Großevent-Edelcaterer hat Fortuna Hals über Kopf verlassen.
Von 12.000 Mitarbeitern weltweit hat Do & Co-Chef Attila Dogudan 3.000 gekündigt. Der Verbleib der anderen ist davon abhängig, ob die Luftfahrt wieder in Schwung kommt und ob Groß-Sportevents wie Formel-1-Rennen oder Fußballspiele auch wieder mit Publikum und damit Catering vor Ort stattfinden werden. Den Ausfall der Fußball-Europameisterschaft, die 2020 ein wichtiger Umsatzbringer gewesen wäre, versucht Dogudan durch die Errichtung eines Home-Delivery-Services wenigstens teilweise zu kompensieren. Und selbst dort, wo es derzeit aussichtslos ist, geht er aus prinzipiellen Gründen wieder an den Start. Sein Do & Co. Hotel im Haas-Haus am Wiener Stephansplatz sperrt Dogudan ehestmöglich, am 29. Mai, wieder auf: „Du musst wieder anfangen, zeigen, dass es weitergeht, auch wenn es betriebswirtschaftlich wenig bringt.“
Kurzum: Den Airline- und Großevent-Edelcaterer hat Fortuna Hals über Kopf verlassen. Aber noch nicht der Kampfgeist. Ob das reichen wird, werden wir wohl erst in einem Jahr wissen.
Außerordentlich getroffen hat es auch die Modebranche. Sie befindet sich seit Längerem in einem gewaltigen Umbruch, weil Online-Anbieter wie Zalando den stationären Handel in Bedrängnis gebracht haben und das Thema Nachhaltigkeit denjenigen, die bisher auf Fast Fashion setzten, bedrohlich zusetzt. Und nun Corona: Die Händler hatten eben die neue Frühjahrskollektion in ihren Geschäften drapiert, als der Shutdown kam. Die Ware war bezahlt und konnte Wochen später nur noch mit Rabatten an die Kundschaft gebracht werden. Eine ganze Serie von Insolvenzen, zum Beispiel Airfield und Stefanel, aber auch Berichte über Firmen mit Liquiditätsproblemen, etwa Tom Tailor in Deutschland oder Tally Weijl in der Schweiz, prägten die ersten Corona-Wochen.
Fussl Modestraße mit Sitz im oberösterreichischen Innviertel ist ein kleiner Fisch in diesem Teich der großen Namen, aber mit 170 Millionen Euro Umsatz in 180 Filialen groß genug, um mitzuspielen. Das Familienunternehmen ist so kapitalstark, dass es sogar gelang, die Kurzarbeit für 1.150 Mitarbeiter vorzufinanzieren, als die von der Hausbank längst zugesagten Überbrückungskredite in der staatlichen Bürokratie klemmten.
Als nach der Wiedereröffnung der Geschäfte Mitte April nur die Hälfte der Umsätze des Vorkrisenniveaus gemacht wurden, war allen Mitgliedern der Eigentümerfamilie Mayr zunächst einmal flau im Magen. Doch Woche für Woche hellte sich die Stimmung auf und irgendwann war klar: Der Markt ist nicht tot, die Mode-Kauflaune ist wieder da. „Einigen wird es den Haxen ausreißen“, sagt Fussl-Chef Karl Mayr, „aber wir sehen schon wieder die Chancen.“ Er beginnt nach Standorten von schwächelnden Mitbewerbern zu sondieren. Pech gehabt und Glück gehabt.
Vielleicht müssen wir uns Corona, die Göttin des Pechs, ja doch eher wie den doppelgesichtigen Janus vorstellen: Sie zeigt uns jetzt ein Gesicht, das unerbittlich launisch und grausam ist. Doch wer das aushält, wird irgendwann auch die Rückseite zu sehen bekommen. Und dann hat sie vielleicht sogar ein Lächeln parat.