Wer Mittelhochdeutsch kann, ist im Vorteil. Spezerey, Spezierie, species, lateinisch für Art und Gestalt und spätlateinisch auch für Gewürz. Später als Spätlatein war der Ausdruck Überbegriff für Gemischtwaren und das trifft nicht nur so oder so zu, sondern ist schon der ideale Name für das neue Lokal von Gabi und Harald Gatscher: Gabis kleine Spezerey in Gries am Brenner.

„Eigentlich ist das unser Pensionsprojekt“, sagt Gabi, die wie ihr Mann Harald 59 Jahre alt ist. Genau, so schaut das hier aus. Das kleine 500 Jahre alte Haus ist seit Generationen in Familienbesitz und wurde vor einem Jahr umgebaut. Jetzt können die zwei ehemaligen Kinderzimmer mit Nasszelle gemietet werden, was heute beispielsweise ein junges Paar aus Mailand gemacht hat. In der ebenfalls umgebauten mittlerweile Schau-Küche finden acht Gäste Platz, wo die beiden Mailänder jetzt ihr Frühstück beenden und Harald beim Teigkneten zuschauen. Speisekarte gibt es in der Spezerey keine. „À la carte raubt dir den Verstand. Ich koche, was mir Spaß macht und die Leute lieben es, sich nicht entscheiden zu müssen. Es ist ja immer etwas Interessantes zuhause, weil ich ein gutes Netzwerk habe. Manchmal kommen Erdbeeren, manchmal Eier. Zum Glück nie nur eines.“ Ihr Mann backt Brot. Ebenfalls nicht eines, sondern vielerlei. „Wir machen private Dinner und Kochkurse und Workshops. So oft und wann wir wollen. Gekocht wird nur Donnerstag abends und Freitag und Samstag mittags.“ Klingt wirklich nach einem bescheidenen Pensionsprojekt, was Gabi mit nackten Füßen in der Stube erzählt. Oder auch nach einem Start-up. Weil „ich habe vorher bei der Krankenkassa in Innsbruck und bei der Volkshochschule gearbeitet. Mein Mann ist gelernter Tischler, war LKW-Fahrer und Tankstellenbesitzer.“ Mhm. Aber war da nicht noch etwas? „Ja, also, wir haben die Pumafalle 20 Jahre betrieben.“ Genau, die mit einer Haube und dem Prädikat Slow food ausgezeichnete Pumafalle in Trins im Gschnitztal. Nur wer weiß, was es bedeutet in der Gastronomie zu arbeiten, versteht, dass sie ihre kleine Spezerey nicht ironisch oder falsch bescheiden ein Pensionsprojekt nennen, sondern für zwei Profigastronomen es tatsächlich ehrlich eines ist.

Gastronomie bedeutet, einen Betrieb zu führen. Pension bedeutet, auch genießen zu dürfen und seine Leidenschaften vielleicht noch einmal intensiver leben zu können. So komisch das also für Gastronomiefremde klingt, genau das finden Gabi und Harald in ihrem neuen Lokal.

Nach 20 Jahren á la carte-kochen will Gabi in ihrer Spezerey ihre Gäste jetzt aber nicht mehr nur kulinarisch zufriedenstellen, sondern sie auch in den Bereichen schulen, die ihr persönlich wichtig sind. „Die Regionalität wird zum Glück ja schon länger wieder entdeckt. Es braucht aber auch mehr Sensibilität im Geschmack. Die Leute wissen ja gar nicht mehr, was alles möglich ist beim Kochen. Bei meinen Kochkursen gibt es zum Beispiel am Anfang ein ganzes halbes Lamm und am Ende ist alles verkocht.“ Laut der passionierten Kulinarin steigt die Nachfrage, wenn gezeigt wird, was geht. „Das ist kein Henne-Ei-Problem, sondern es muss ein Angebot geben, dass die Leute überhaupt etwas kaufen können und auf die Idee kommen. Und es muss gute Qualität sein, dann sind die Menschen auch bereit, einen fairen Preis dafür zu zahlen.“ Dass die angesprochenen Menschen hellhöriger werden, führt Gabi nicht nur auf sich selbst zurück, sondern „das ist auch Greta Thunberg und so weiter. Das führt schon alles zu einem guten Nachdenken, was gerade passiert. Es muss kein Neuseelandfleisch bei uns auf die Teller. Das sehen die Menschen schon ein.“

Ein Problem sieht die Grieserin aber in der Bürokratie. Beispielsweise mussten sie beim Umbau einen Fettabscheider einbauen. „Da wird nicht mitüberlegt, ob es richtig ist, dass jede Regel in jedem Einzelfall gleich angewendet werden muss oder ob es nicht sinnvoller ist, sich anzuschauen, worum es denn geht. Bei meiner Größe ist dieser Fettabscheider irrsinnig. Ich habe nicht einmal eine Fritteuse. Vor allem, wenn man gleichzeitig weiß, dass beispielsweise manche Schulen, die täglich 40 oder 50 oder mehr Essen kochen, keinen haben. Und nur damit das gleich gesagt ist, das ist nicht die EU, das ist unser Land, das sich das ausdenkt.“

Ein anderes Problem ist eine Kombination aus Bürokratie und Einstellung. Die Gastronomie ist kein nine to five-Job, zumindest im klassischen Gasthaus nicht. Arbeitsrechtlich ist das nicht immer einfach, weil es Spitzen, zu den Essenszeiten, und Flauten, dazwischen, gibt. „Wir haben in den letzten zehn Jahren keinen einzigen Ferialer mehr bekommen. Das wollte niemand mehr. Auch diese klassischen zehn bis 20 Stunden Aushilfskräfte aus dem Dorf oder der Umgebung, was ja meistens die Hausfrauen waren, die sich etwas dazuverdienen wollten, gibt es heute nicht mehr. Die brauchen das auch nicht mehr“, sagt Gabi, für die die Arbeit immer mehr war als bloße Existenzsicherung. „Arbeiten ist sinnstiftend und sozial. Ich frage mich schon, was diese ganzen Frauen heute machen, den Tag, die Woche über.“ Und weil Gabi eben ist wie sie ist, macht sie neben der Spezerey auch noch Kochbücher, hat das Projekt Wipptaler Genussspechte initiiert, wo sie die Obfrau macht, bringt jungen Menschen das Einwecken wieder bei und ist Protagonistin eines Filmes, in dem es, natürlich, auch ums Kochen geht.